Sektion 8: Material Agencies
Samstag, 30. März 2019, 14:45–15:15 Uhr, ZHG, Hörsaal 008
Leva Kochs, Florenz

Menschenrechtliche Dimension von Objekten

Mit der Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan in Afghanistan setzte eine bis zur Zerstörung der Tempelanlagen von Palmyra anhaltende und bis dahin unvergleichbare Welle systematischer islamistisch motivierter Vernichtung von identitätsstiftendem Kulturerbe der Menschheitsgeschichte ein.
Ikonoklastische Handlungen richten sich zwar vordergründig auf Objekte, treffen aber direkt die dahinterstehenden religiösen oder ethnischen Gruppen. Objekte stellen immer auch ein kognitives Konzept dar oder stehen mit diesem in enger Verbindung, so dass sie mit dem Menschen zusammen eine sozialsemantische, dialogische Einheit bilden. Bedeutungen werden in Objekten gespeichert und zwischengelagert und durch sie und die an sie gebundenen Handlungen tradiert. Indirekt wird damit auch deutlich, dass Identität auf materielle Träger verteilt ist, von denen Impulse zur Identitätskonstitution und Identitätsmodifikation ausgehen oder ausgehen können. Der Anschlag auf Kunst- und Kulturobjekte bedeutet, dass die symbolische Infrastruktur einer Identität zerstört wird. Dies kommt einer Form der Traumatisierung gleich, da die Identität essentieller Dimensionen ihres Selbstbezugs beraubt wird. Mit dem Angriff auf Kulturobjekte werden als Teil einer Gesamtstrategie auch Menschen getroffen.
Das internationale Kulturgüterschutzrecht trägt dieser besonderen Qualität der derzeitigen Angriffe nicht ausreichend Rechnung, da es die Kulturgutzerstörung strikt als Sachbeschädigung wertet. Hierin verfehlt das Völkerrecht das Phänomen des Ikonoklasmus gänzlich und bleibt hinsichtlich Interventionsmaßnahmen weitestgehend wehrlos. Um Kulturgütern rechtlich eine anthropologische Dimension und damit aktive Rolle ähnlich der „Persona“ zuzuerkennen, muss der Begriff des Kulturgutes aus der Sphäre der Objekte in die Sphäre der Menschenrechte gerückt werden. Nicht nur die fehlende juristische Unterscheidung von Ding und Objekt, sondern auch die Tatsache, dass das Recht ihnen den symbolischen Akteurcharakter abspricht, muss thematisiert werden. Dies erfordert ein radikales Umdenken rechtlicher Paradigmen.
Dieser Beitrag versucht, anhand von Kulturgütern einen Aspekt des Begriffs der „active matter“ in den völkerrechtlichen Rahmen zu übertragen und Kulturgüter als Entität zwischen Rechtsobjekt und Rechtssubjekt neu zu denken. Ziel ist es, die aktive Rolle von Bildern durch die Zuerkennung einer menschenrechtlichen Dimension auch im Rechtsraum zu verankern.
Kurzbiografie Leva Kochs
2007–2011Studium der Kunstgeschichte und Philosophie in Berlin (Bachelorarbeit: „Der Kopflose Leviathan oder die Verschleierung einer Tötung – Pete Souzas Fotografie des Situation Room“)
2008–2015Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, Erstes Juristisches Staatsexamen („Zur Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie – Axel Honneth’s Rezeption“)
2012–2016Masterstudium der Kunstgeschichte in Berlin
2016Fulbright Fellowship am Bard Graduate Center, New York
2017Forschungsaufenthalt (Promos-Stipendium des DAAD) am Department of Art and Archaeology der Princeton University
seit 2017Promotion in Völkerrecht („Menschenrechtliche Dimension terrorbedingter Zerstörung von UNESCO Weltkulturerbe“)
2017–2018Wiss. Mitarbeiterin in der Minerva Research Group „Nomos der Bilder. Manifestation und Ikonologie des Rechts“, Kunsthistorisches Institut in Florenz
seit 2018Wiss. Mitarbeiterin am Forum Recht in Karlsruhe, Bundesverfassungsgericht
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kulturgüterschutz