Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte
Samstag, 30. März 2019, 17:15–17:45 Uhr, ZHG, Hörsaal 008
Franziska Klemstein, Berlin / Martin Raspe, Rom

Defizite, Deutungen, Dualismen – 3D-Modellierung zwischen Nostalgie und Wissenschaft

Seit den frühen 90er Jahren spielen 3D-CAD-Modelle in der Kunstvermittlung eine Rolle, mittlerweile haben sie Hochkonjunktur. Die 3D-Modellierung historischer Bauten und Kunstwerke ist längst zum akzeptierten Bestandteil der medial geprägten Gegenwart geworden.
Stellt die 3D-Rekonstruktion einen besseren Zugang „zu den Dingen“ dar? Wo bleibt die digitale Kunstgeschichte in diesem Umfeld? Von den ersten Modellen an (Cluny / TU Darmstadt) war die wissenschaftliche Grundlage derartiger Rekonstruktionen kaum zu durchschauen. Bis heute hat sich kein Standard zur Dokumentation der Quellenbasis und der einzelnen Rekonstruktionsschritte etabliert. Anfangs waren es technische und ästhetische Defizite, die ins Auge fielen. Heute stellt sich zunehmend die Frage nach dem Sinn. Angesichts der mangelnden Pflege und Zugänglichkeit der digitalen Anschauungsobjekte lässt sich darüber streiten, wie ernst didaktische Ziele genommen werden. Welche Interessen werden bei dem Übersetzungsprozess von den Quellen zum Modell verfolgt? Wer besitzt die Deutungshoheit?
Ebenso interessant ist die Frage nach dem Dualismus der Modelle, ihrer Stellung zwischen historischem Sein und virtuellem Schein. Auch hier kann der technische Aspekt nicht außer Acht bleiben. Während die Abfolge der Bauabschnitte am realen Bauwerk oft ablesbar bleibt, verschwindet sie im CAD-Graphen oder in der Punktwolke. Hinzu kommt, dass 3D-Modelle nur „hauchdünne“ Oberflächen haben. Insbesondere, wenn sie mit Hilfe von Laserscans erstellt wurden, entstehen spiegelverkehrte „Rückansichten“ der Modelle, die absurde Wirkungen hervorbringen. Und wie geht man mit Wissenslücken um? Ist es sinnvoll, skizzenhafte oder durch Zufall bzw. „machine learning“ generierte Modellteile einzubauen?
Abschließend soll die Frage nach der Funktion des 3D-Modells in der digitalen Kunstgeschichte diskutiert werden. Ist das „Erinnern“ Ziel der Disziplin, also durch digitale Methoden die Vergangenheit erlebbar zu machen? Geht es nicht vielmehr um das historische Verstehen? Gibt es einen Widerspruch zwischen ansprechendem Design und Informationsvermittlung? Welche Möglichkeiten bietet die Technologie in der Zukunft? Ist eine „experimentelle Kunstgeschichte“ anhand von Modellen ein gangbarer Weg – etwa im Hinblick auf die Überprüfung von anschaulichen Proportionen, Blickachsen, Raumfolgen und Lichtwirkungen? Anhand einer Reihe von Beispielen soll der Fragenkomplex im „Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte“ zur Diskussion gestellt werden.
Kurzbiografie Franziska Klemstein
2008–2011Bachelorstudium der Kunstgeschichte und Geschichte in Berlin und Amsterdam
2011–2014Masterstudium der Kunstwissenschaft und Kunsttechnologie in Berlin („Die niederländische ‚Monumentenzorg‘ im Zeichen der ‚europäischen Neuordnung‘. Eine Untersuchung am Beispiel des Bond Heemschut“)
2014–2015freiberufliche Tätigkeit für das Landesdenkmalamt Berlin und die TU Berlin sowie wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl Baugeschichte und Stadtbaugeschichte der TU Kaiserslautern (2015)
seit 2016Promotionsstipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Dissertationsprojekt: „Denkmalpflege zwischen System und Gesellschaft. Netzwerke, Handlungsspielräume und Interaktionsgefüge in der DDR“
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architekturgeschichte der Moderne und Nachkriegsmoderne; Denkmalpflege; digitale Kunstgeschichte
Kurzbiografie Martin Raspe
1980–1988Studium der Kunstgeschichte, Slavistik, Klassischen und Christlichen Archäologie in Münster und Freiburg i. Br. (Magisterarbeit: „Der Antwerpener Schnitzaltar in der St.-Viktor-Kirche in Schwerte/Ruhr“)
1989–1990Promotionsstipendiat an der Bibliotheca Hertziana, Rom
1991Promotion in Freiburg („Das Architektursystem Borrominis“)
1991-1996Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Würzburg
1997–1998Post-Doc-Stipendiat an der Bibliotheca Hertziana, Rom
1999–2004Wiss. Mitarbeiter im Fach Kunstgeschichte an der Universität Trier und Mitglied des „Kompetenzzentrums für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften“
seit 2004Wiss. IT-Betreuer an der Bibliotheca Hertziana, Rom
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architektur, Skulptur und Malerei in Italien (15.–18. Jh.); Niederländische Malerei, Zeichnung und Druckgrafik (15.–17. Jh.); digitale Kunstgeschichte, Informationssysteme für die Geisteswissenschaften
Publikationsauswahl
  • Das Architektursystem Borrominis, München 1994 (zugl. Diss. Freiburg 1991).
  • WIRE – An Instrument for Collecting Visual and Textual Data, in: Standards und Methoden der Volltextdigitalisierung (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 9), Stuttgart 2003, S. 317–322.
  • (mit Georg Schelbert) ZUCCARO – Ein Informationssystem für die historischen Wissenschaften, in: it – Information Technology 51 (4/2009), S. 207–215.
  • (mit Nadja Horsch) Konstruktion und Concetto. Die römischen Katafalke für Kardinal Alessandro Farnese (1589), Papst Sixtus V. (1591) und Principe Carlo Barberini (1630), in: archimaera 3: „Ephemere Architektur“ (5/2010), S. 7–28.
  • Caravaggios Obstkorb zwischen Groteske und Galeriebild, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 41 (2013/14), S. 323–340.