Berufsgruppe Museen
Freitag, 29. März 2019, 10:25–10:50 Uhr, ZHG, Hörsaal 008
Anja Gubelmann, Bern

Provenienzforschung ausgestellt: Selbstzerfleischung zum Selbstzweck?

„Aktuell kein Raubkunstverdacht“ – Aussagen wie diese lassen sich vermehrt auf Labels in zeitgenössischen Ausstellungen finden, denn ein neues Phänomen nimmt Einzug in die Kunstmuseen: Die Provenienzforschung wird in den Fokus gerückt. Allein in den letzten drei Jahren lassen sich im deutschsprachigen Raum über zwölf Ausstellungen finden, die Raubkunst und Provenienzforschung zum Thema machen. Diese unterscheiden sich von bisherigen Ausstellungsformaten in den verschiedensten Bereichen: So werden beispielsweise Rückseiten von Gemälden und Skulpturen sichtbar gemacht, Archivalien werden zu Exponaten und Kataloge, Saaltexte, Medienmitteilungen und Videobeiträge versuchen die politische und historische Dimension der gezeigten Objekte zu erklären. Als weitere Neuerung treten auch bis dato unsichtbare Akteure auf: Restauratorinnen und Restauratoren erhalten im Ausstellungsraum eine Stimme.
Schon Hans Haacke nutzte 1974 für seine Ausstellung zu Manets Spargelstillleben ein Display, das das Gemälde mitten in den Raum stellte und die Objekthaftigkeit betonte. Auch „Project of Restitution“ der Künstlerin Maria Eichhorn 2004 im Lenbachhaus nutzte ein ähnliches Display. Eichhorn engagierte die Historikerin Anja Heuss, um die Provenienz von 15 Gemälden des Lenbachhauses zu untersuchen. In einer Ausstellung präsentierte Eichhorn die Ergebnisse jener Forschung und stellte die untersuchten Gemälde auf Stelen mitten in den Raum.
Die Museen kehren nun selbst, das heißt ohne das Zutun einer Künstlerin, mit Ausstellungen wie „Eigentum verpflichtet“ (Zeppelinmuseum Friedrichshafen, 2018/19), „Bestandsaufnahme Gurlitt“ (Kunstmuseum Bern und Bundeskunsthalle Bonn, 2017 und 2018), „Raubkunst?“ (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 2014 bis auf weiteres) ihr Innerstes nach außen.
Üben die Museen damit Selbstkritik, leisten sie Wiedergutmachung oder Aufklärung, ja machen sie die Geschichte sogar fruchtbar? Oder betreiben die Museen Selbstzerfleischung zum Selbstzweck?
Kurzbiografie Anja Gubelmann
2012–2015Bachelorstudium der Kunstgeschichte und Allgemeinen Geschichte in Zürich
2016–2018Masterstudium der Kunstgeschichte in Bern (Art History with Special Qualification in Curatorial Studies and Museology)
2018Mitarbeiterin in der Bibliothek SIK-ISEA, Zürich
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Museologie; Schweizer Gegenwartskunst; Archive in der Kunst
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Peter Stohler und Petra Giezendanner) Von Anselm bis Zilla. Die Sammlung Peter und Elisabeth Bosshard der Stiftung Kunst(Zeug)Haus, Zürich 2018; darin: (mit P. Stohler und P. Giezendanner) Auf Du und Du mit der Kunst; Einträge zu B. Heé, A. Hofer, F. Paolucci und S. Vollenweider.
  • (mit Peter Stohler und Nina Wolfensberger) Grenzen – ziehen, einhalten, überschreiten, in: Raimund Menges et al. (Hgg.), In_visible Limits: Grenzgänge in Kunst und Gesellschaft, Freiburg i. Br. 2017, S. 12–23.