Sektion 5: Provenienzen der Dinge. Zur Rezeption von Objektbiografien
Samstag, 30. März 2019, 14:00–14:30 Uhr, ZHG, Hörsaal 105
Fabienne Huguenin, München / Kathrin Kleibl, Bremerhaven

Objekte unter der Lupe. Provenienzrecherche in wissenschaftlichen Sammlungen

Wissenschaftliche Sammlungen an Forschungsmuseen und Universitäten verfügen über heterogene Bestände mit verschiedensten beweglichen Kulturgütern, die bislang noch nicht umfassend unter dem Aspekt der Provenienzforschung – ihrer Objektbiografie und der Rückverfolgbarkeit ihrer Herkunft (traceability) – untersucht worden sind. Dazu gehören bedeutende Artefakte der Naturwissenschaft und Technik, wie Maschinen, historische Geräte und Instrumente, aber auch Dioramen und Schiffsmodelle, Proben von Drogen und Farben sowie Objekte des alltäglichen Lebens, Münzen, archäologische Kulturgüter, anatomische Moulagen, Human Remains oder auch Messdaten, Körperbeschreibungen und Fotografien von lebenden Menschen. Die spezifischen Objektkonstellationen solcher Sammlungen und die Häufigkeit von Serienprodukten, statt Unikaten, wie etwa in der Kunst, erfordern die Entwicklung spezieller Methoden für nahezu jede Objektgruppe.
Anhand von Praxisbeispielen zweier Forschungsmuseen, des Deutschen Museums München und des Deutschen Schifffahrtsmuseums Bremerhaven, sollen die spezifischen Problematiken in Bezug auf technisches, naturwissenschaftliches und historisches Kulturgut im breiten Spektrum von NS-Raubkunst, Beutekunst und kolonialem Raubgut ebenso thematisiert werden wie erste Lösungsansätze. Deutlich gemacht wird, wie sehr sich aktuell das Arbeitsfeld der Provenienzforschung erweitert und wie groß der Bedarf an Grundlagenforschung ist.
Dabei wird der Fokus auf die konkreten Objekte gelenkt, denn neben Zugangsbüchern, Inventarkarten oder Quellenmaterial aus Archiven können insbesondere die Artefakte selbst wertvolle Hinweise zu ihrer Geschichte liefern. Rückseiten, Unterseiten und Einzelteile tragen Informationen, die nicht immer auf den ersten Blick als relevant wahrgenommen werden, jedoch letztlich wichtige Informationen liefern können. Hilfreich sind beispielsweise Seriennummern, die mit Enteignungslisten abgeglichen werden könnten, oder auch Aufkleber mit handschriftlich verzeichneten Nummern. Umlackierungen oder Deformierungen an einem Automobil wiederum können auf einen Besitzerwechsel oder einen Unfall hinweisen. Weiterhin liefern Firmenlogos, die über die Jahrzehnte oftmals verändert werden, Hinweise zur Datierung und damit auch zur Objektgeschichte. Im wahrsten Sinne des Wortes müssen die Objekte unter die Lupe genommen werden.
Kurzbiografie Fabienne Huguenin
1999–2006Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und Klassischen Archäologie in Dijon und Tübingen (Magisterarbeit: „Die Westfassade der Abteikirche von Vézelay“)
2011Promotion an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen
seit 2012Wiss. Mitarbeiterin am Deutschen Museum München, Projekte: „DigiPortA“, „Porträtgemälde zwischen Wissenschaft und Technik. Die Sammlung des Deutschen Museums“ und „Deutsches Museum Digital“
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Porträts in Fotografie, Druckgrafik und Malerei; Digitalisierungsprojekte; Provenienzforschung
Publikationsauswahl
  • Hässlichkeit im Portrait – Eine Paradoxie der Renaissancemalerei, Hamburg 2012 (Diss.).
  • Gesichter der Wissenschaft, in: Blog des Deutschen Museums, 16.01.2013.
  • Erschließung mit Norm-Datenbanken. Vorteile einer vernetzten Dokumentation, in: Edgar Bierende et al. (Hgg.), Sichtbare Sammlungen. Diskurse und Dokumente des Projekts „MAM | MUT“, Tübingen 2016, S. 67–71.
  • Porträtgemälde zwischen Wissenschaft und Technik. Die Sammlung des Deutschen Museums, München 2018.
Kurzbiografie Kathrin Kleibl
1996–2003 Magisterstudium der Klassischen Archäologie, Kunstgeschichte, Geschichte der Naturwissenschaften und Museumsmanagement in Hamburg (Magisterarbeit: „Die Wasserkrypten in Heiligtümern gräco-ägyptischer Götter im Mittelmeerraum“)
2002–2005 Wiss. Mitarbeiterin im Ausgrabungsprojekt Triopion in Emecik/Türkei, Deutsches Archäologische Institut / Universität Hamburg
2004–2009 Lehraufträge im Fach Klassische Archäologie an den Universitäten Hamburg und Mainz
2007Promotion in Klassischer Archäologie an der Universität Hamburg („Iseion – Raumgestaltung und Kultpraxis in den Heiligtümern gräco-ägyptischer Götter im Mittelmeerraum“)
2006–2008Wiss. Mitarbeiterin im SFB 295 (DFG): „Kulturelle und sprachliche Kontakte: Prozesse des Wandels in histor. Spannungsfeldern Nordostafrikas/Westasiens“, Univ. Mainz („Das archaische Zypern im Spannungsfeld von Eigenständigkeit und Fremdimpulsen“)
2009Archäologisch-historisches Survey-Projekt am Gilf el-Kebir/Sahara (Ägypten) zu Ladislaus Almásy, ORF Wien
2011–2013 Dozentin für Alte Geschichte und Klassische Archäologie an der Universität Innsbruck
2015Mitarbeiterin (Provenienzforschung, Marketing) am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Oldenburg
2016–2017 Museologin am Deutschen Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven
seit 2017Wiss. Mitarbeiterin für Provenienzforschung am Deutschen Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Klassische Archäologie, Kunstgeschichte, Kunsthandel; Provenienzforschung, Objektbiografie, objektbezogene Forschungen; Raubkunst, Beutekunst, (il-)legaler Transfer von Kulturgut; Kunst- und Kulturpolitik bzw. -handel während des Nationalsozialismus; Umgang mit archäologischem Kulturgut in politischen Konfliktzonen
Publikationsauswahl
  • Iseion – Raumgestaltung und Kultpraxis in den Heiligtümern gräco-ägyptischer Götter des antiken Mittelmeerraumes, Worms 2009.
  • Greco-Egyptian Religion, in: Esther Eidinow und Julia Kindt (Hgg.), The Oxford Handbook of Ancient Greek Religion, Oxford 2015 (1. Ausgabe) / 2017 (2. Ausgabe), S. 621–636.
  • An Audience in Search of a Theatre – The Staging of the Divine in the Sanctuaries of Graeco-Egyptian Gods, in: Svenja Nagel et al (Hgg.), Entangled Worlds: Religious Confluences between East and West in the Roman Empire, Tübingen 2017, S. 353–371.
  • Maritimes Kulturgut in den Blick genommen – Provenienzforschung am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven, in: Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (Hg.), Provenienz & Forschung 2/2018, Dresden 2018, S. 32–39.
  • (Hg.) NS-Provenienzforschung in Norddeutschland (Deutsches Schiffahrtsarchiv 42), Bremerhaven 2018 (in Vorbereitung); darin: Die Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer in Bremen im Nationalsozialismus.