Sektion 10: Objektdigitalisierung: Methoden und Perspektiven
Donnerstag, 28. März 2019, 9:30–10:00 Uhr, ZHG, Hörsaal 105
Simon Donig, Passau

Das digitale Abbild als Interface zum Objekt

Der Beitrag stellt Überlegungen zu Herausforderungen und Möglichkeiten an, die digitale Repräsentationsformen für einen Zugang zum Wissen der Objekte bieten. Diese beruhen auf unserer Arbeit als interdisziplinäres Team von Forschenden aus der Geschichtswissenschaft und der Informatik, die bereits intensiv mit Forschenden aus der Kunstgeschichte zusammengearbeitet haben.
Am Beispiel der gegenwärtig laufenden Entwicklungsarbeit und unserer Visionen für das System Neoclassica zur Identifizierung und Klassifizierung von materialer Kultur des Klassizismus diskutieren wir neue Erkenntnismöglichkeiten und epistemologische Fragen, die sich aus der Schaffung von digitalen Forschungsinstrumenten ergeben. Neoclassica identifiziert Muster (Objekte, später Formmerkmale) in digitalen Repräsentationen physischer Artefakte bzw. Interieurs, indem es Techniken der künstlichen Intelligenz mit einer granularen formalen Wissensrepräsentation zusammenbringt. Dabei gehen wir über eine simple Mustererkennung hinaus, weil wir das digitale Abbild des Artefakts als ein multimodales Interface zum Objekt begreifen, das dessen visuelle und textuelle Repräsentation vereint.
Wir diskutieren die Potentiale, die eine computerisierte Identifizierung, Klassifizierung, Annotation und automatische Verlinkung mit existierenden externen Ressourcen für eine Objektgeschichte eröffnet. Als ein Retrieval-Instrument kann ein derartiges System etwa die immer wichtiger werdende Nachnutzung bestehender digitaler Korpora unterstützen und zugleich über den konkreten Bestand hinaus vernetztes Wissen herstellen. Als Forschungsinstrument, das mit hochauflösenden Digitalisaten zum Einsatz kommt, erfasst es Muster im Sinne eines methodischen „Distant Viewing“ und ermöglicht so z. B. die Herstellung neuer Bezüge zwischen Objekt und Raumkunst, etwa in Gestalt einer geteilte Formensprache verschiedener Artefakte.
Zugleich reflektieren wir auch die epistemologischen Herausforderungen digitaler Methoden und deren Implikationen für die Arbeitsweise in den Objektwissenschaften. Diese reichen von Fragen der Transparenz des wissenschaftlichen Instruments (was lernt eigentlich der Klassifikator?) bis hin zu einer Reflexion unseres Exaktheits- und disziplinären Wissenschaftsbegriffs. Wir illustrieren dies daran, wie wir im Projekt quantitative Exaktheitsmaße als Teil einer Hermeneutik digitaler Artefakte und ihrer quantitativen Verarbeitung interpretieren.

(Simon Donig unter Mitwirkung von Maria Christoforaki, Bernhard Bermeitinger und Siegfried Handschuh).
Kurzbiografie Simon Donig
1998–2003Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Hamburg und Konstanz (Magisterarbeit: „Zur Geschichte einer Schlüsseltechnologie – die elektronische Datenverarbeitung in der DDR (1957–1973)“)
2005–2010Stipendiat im Graduiertenkolleg „Adel in Schlesien“ an der Universität Passau (Promotionsthema: „Herrscher der Arbeit. Adelskultur, Wirtschaft, Herrschaft und Gedächtnis der schlesischen Magnaten im langen 19. Jahrhundert“)
2010–2014wiss. Mitarbeiter im BKM-Forschungsprojekt „Schlesischer Adel im 20. Jahrhundert“
2016–2018Wiss. Mitarbeiter im BMWF-Forschungsprojekt „Neoclassica – Stil als Zirkulationsform kultureller Muster“ im Rahmen des Passau Centre for the eHumanities (PACE)
seit 2018Koordinator der Passauer Bemühungen um Beantragung der Einrichtung einer Forschergruppe „Digital Humanities Knowledge Graph“
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Design- und Architekturgeschichte als historische Kulturwissenschaft; Objekt- und Materialkulturforschung des Klassizismus; automatisierte Erschließung multimodaler Text-Bild-Verbünde; Semantisierung von Bildinhalten mit Verfahren künstlicher Intelligenz
Publikationsauswahl
  • (mit anderen Autoren) Neoclassica – a new Multilingual Domain-ontology. Representing Material Culture from the Era of Classicism in the Semantic Web, in: B. Bozic et al. (Hgg.), Computational History and Data-Driven Humanities, Cham 2016, S. 41-53.
  • (mit anderen Autoren) Object Classification in Images of Neoclassical Furniture Using Deep Learning, in: B. Bozic et al. (Hgg.), Computational History and Data-Driven Humanities, Cham 2016, S. 109–112.
  • (mit anderen Autoren) Object Classification in Images of Neoclassical Artifacts Using Deep Learning, in: Diane Jackacki et al. (Hgg.), Digital Humanities 2017, Montréal 2017, S. 395–397.
  • Theodor Kalide (1801–1863), in: Joachim Bahlcke (Hg.), Schlesische Lebensbilder (XII), Insingen 2017, S. 151–165.
  • (mit anderen Autoren) Bildanalyse durch Distant Viewing – zur Identifizierung von klassizistischem Mobiliar in Interieurdarstellungen, in: Gerhard Vogeler et al. (Hgg.): DHd 2018 – Kritik der digitalen Vernunft, Köln 2018, S. 130–137.