Sektion 8: Material Agencies
Samstag, 30. März 2019, 14:00–14:30 Uhr, ZHG, Hörsaal 008
Inge Hinterwaldner, Berlin

Chemochromatische Himmelsereignisse. Aurora Borealis und ihre künstl(er)i(s)chen Schwestern

Nicht selten steht bei allegorisch-symbolischen Darstellungen der fünf Sinne ein dramatisch-gewittriges, farbenprächtiges Firmament für das „Sehen“. Das himmlische Farbspektakel faszinierte Kunstschaffende im 20. Jahrhundert nicht mehr nur als optisches Motiv, sondern zunehmend als etwas Gestaltbares. Während die italienischen Futuristen gedachten, Pigmente in die Luft zu sprühen, imaginierten Vertreter/-innen der Space Art ab den 1960er Jahren ein Anregen der Gase, die in der Atmosphäre schon vorhanden waren, sodass sie fluoreszieren „wie in einer Kathodenstrahlröhre“. Die Sky Art wird nicht selten im Rahmen einer Demokratisierung der Kunst verhandelt, denn es genügt weitflächig, den Blick gen Himmel zu richten, um sie rezipieren zu können. „Lichtgemälde“ in den Ausmaßen von Wetterphänomenen konzipierten beispielsweise die Amerikaner Newton Harrison (1967), Paulo Bruscky (1976) und Joe Davis (1982). Dass sie nicht realisiert werden konnten, hatte technische, finanzielle, nicht zuletzt aber auch politische Gründe. Harrison verwirklichte im Jet Propulsion Lab der NASA schwebende Lichtgestalten im Kleinen. Um seine „Artificial Aurora“ zu entwickeln, eignete er sich Grundlagen der Plasmaphysik an und arbeitete mit Richard Feynman zusammen. Trafen in einer Vakuumkammer elektrische Spannungen auf Gase, entstanden farbig leuchtende Musterbildungen. Nichts anderes scheint in Neonröhren im Prinzip auch vor sich zu gehen, nur werden diese Alltagsgegenstände eher binär (ein/aus) wahrgenommen denn in ihrer fortwährend Aktivität, weil aufgrund der geringen Größe der Röhren die Binnendifferenzierung ihrer Erscheinungsweisen nicht erkennbar wird. Welche Maßnahmen ergreifen Kunstschaffende wie Wissenschaftler/-innen, um die Aktivität der Chemolumineszenz einsichtig werden zu lassen und welche Ziele stehen jeweils dahinter? Welcher Art ist ihr Eingriff? Lässt sich die Situation durch die Brille von New Materialism und Objektorientierter Ontologie noch als „Programmierung“ verstehen? Der Beitrag zielt erstens darauf ab, herauszuarbeiten, worin die Faszination der Künstler/-innen für die schwebenden Farben lag. Zweitens wird das damalige Sprechen über die involvierten Gase und Situationen mit neueren Ansätzen, die die Agency von Materialien in den Blick nehmen, gerahmt.
Kurzbiografie Inge Hinterwaldner
1995–2000Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Innsbruck (Magisterarbeit: „Humanic-Spots zwischen Kunst und Werbung. Die Ära Goeschl 1970–1973“)
2001–2006Mitglied im Graduiertenkolleg „Bild. Körper. Medium. Eine anthropologische Perspektive“ an der HfG Karlsruhe
2005–2008Mitglied im Graduiertenkolleg „Bild und Wissen“ innerhalb des eikones-NFS „Bildkritik“ an der Universität Basel
2009Promotion an der Universität Basel („Das systemische Bild. Ikonizität im Rahmen computerbasierter Echtzeitsimulationen“)
2008–2014Wiss. Assistentin am Kunsthistorischen Seminar der Universität Basel
2014–2016Forschungsaufenthalte am MECS Lüneburg, Duke University in Durham/NC und MIT in Cambridge/MA
2016–2018Professorin für Kunst- und Bildgeschichte der Moderne und Gegenwart an der Humboldt-Universität zu Berlin
seit 2018Professorin für Kunstgeschichte am Karlsruher Institut für Technologie
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Interaktivität und Temporalität in den Künsten; computerbasierte Kunst und Architektur; Verflechtungen von Künsten und Wissenschaften seit dem 19. Jh.; Performativitätstheorie in den Wissenschaften; Bildtheorie und Modelltheorie
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