Sektion 2: Kirchenkunst und religiöser Wandel rund um die Nordsee
Freitag, 29. März 2019, 10:15–10:45 Uhr, ZHG, Hörsaal 105
Regina Jucknies, Reykjavík/Köln

Aus der bischöflichen Druckerpresse. Transmission und Funktionswandel isländischer frühneuzeitlicher Buchobjekte zwischen Kontemplation und Kollektion

Um 1530 importierte der letzte katholische Bischof Jón Arason die erste und für Jahrhunderte einzige Druckerpresse nach Island, die bis 1799 in Betrieb war und auch in bischöflichem Besitz verblieb. Inhaltlich war somit die Druckproduktion des Landes lange Zeit fast ausschließlich auf geistliches Gedankengut, auf Erbauliches wie Liturgisches konzentriert, denn erst 1688 ließ der damalige Bischof von Skálholt den ersten weltlichen Text drucken, und nicht eher als in den 1770er Jahren kam eine zweite Druckerpresse (in säkularer Hand) ins Land.
Im Rahmen eines RANNÍS-Forschungsprojekts zu isländischem Papier- und Bucheinbänden mit Fokus auf die Biografie der Buchobjekte geschieht derzeit (2018–2020) eine konsequent am Material ausgerichtete material- und textphilologische Untersuchung, die von der Papierherstellung in Zentraleuropa (v. a. Niederlande) im 16. und 17. Jahrhundert und dem Export in den Nordatlantik über die Transformation zu Handschriften und Drucken in Island bis zu den heutigen Repositorien derjenigen Bände reicht, die die Insel wieder verließen und heute in Islandica-Sammlungen verschiedener Bibliotheken bewahrt werden. Mit Hilfe von Wasserzeichenanalyse, Einbandautopsie und Betrachtung der individuellen Restaurierungsgeschichte werden die „Lebensschritte“ der einzelnen Bände (fokussiert auf drei außerisländische Islandica-Sammlungen verschiedener Jahrhunderte) bis zum heute aktuellen Stand nachvollzogen, verzeichnet und schließlich interpretiert, um sie in einen breiteren, auch internationalen buchkulturgeschichtlichen Zusammenhang einzuordnen.
Der Vortrag wird sich auf die Darstellung einzelner Buchobjekte konzentrieren, anhand derer sich hoffentlich nachzeichnen lässt, wie sie im ursprünglich intendierten Raum – meist im einzelnen bäuerlichen Haushalt, aber auch in liturgischem Zusammenhang – Verwendung fanden. Darüber hinausgreifend sollen außerdem – soweit möglich anhand der aus den Objekten zu gewinnenden Informationen – Antworten auf die Fragen versucht werden, wann und wie der Funktionswandel vom frisch gedruckten, noch ungebundenen Textträger zum historischen Buchobjekt vonstatten ging. Die im vorliegenden Rahmen notwendige Einordnung in den historischen Kontext isländischer Glaubenspraxis sowie die Frage nach spezifischen neuzeitlichen Sammlerinteressen wird selbstverständlich ebenfalls einen wichtigen Teil des Vortrags ausmachen.
Kurzbiografie Regina Jucknies
1992–1998Studium der Skandinavistik, Älteren Germanistik und Musikwissenschaft in Bonn, Köln sowie der Åbo Akademi, Finnland (Magisterarbeit: „Mittelalterliche Gelehrsamkeit und neuzeitliches Gedankengut im Werk von Jón Guðmundsson lærði (1574–1658)“
1998–2000Wiss. Hilfskraft im DFG-Projekt „Repertorium der altnordischen Artesliteratur“ an der Universität Bonn
2000–2006Promotionsstudium der Skandinavistik, Älteren Germanistik und Musikwissenschaft in Bonn („Der Horizont eines Schreibers. Jón Eggertsson (1643–1689) und seine Handschriften“)
2003Gastdozentin an der Univerisät Stockholm
2004–2006Wiss. Mitarbeiterin in der Abteilung für skandinavische Sprachen, Literaturen und Kulturen des Germanistischen Seminars der Universität Bonn (Schwerpunkt Mediävistik)
2005Gastdozentin an der Universität Stockholm
2006–2012Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der FH Köln (MALIS „Sondersammlungen in wissenschaftlichen Bibliotheken – Stand und Perspektiven, dargestellt am Beispiel der Islandsammlung der USB Köln“)
2006–2018Wiss. Mitarbeiterin am Institut für Skandinavistik/Fennistik der Universität zu Köln (Schwerpunkt Mediävistik/Islandistik/Frühe Neuzeit/Ostnordisitk)
2012Vorlesungsvertretung am Lehrstuhl Simek, Universtät Bonn („Bauern, Bücher, Pergamente. Buchproduktion und literarische Kultur im mittelalterlichen Norden“)
seit 2018Wiss. Mitarbeiterin im RANNÍS-Projekt „Paper Trails. A Material History of 16th and 17th Century Icelandic Books from Paper Production to Library Collection“, Árni Magnússon Institut für isländische Studien, Reykjavík (und Köln)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Objektbiografie; Buch- und Sammlungsgeschichte (u. a. der Sammlung Islandica der USB Köln); skandinavische Kodikologie und Paläografie; Altostnordistik; aktuelle isländische Belletristik
Publikationsauswahl
  • Der Horizont eines Schreibers. Jón Eggertsson (1643–89) und seine Handschriften (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik 59), Frankfurt a. M. 2009.
  • Heinrich Erkes (1864–1932). Kölner Kaufmann, Kenner Islands und kluger Bibliothekar (Vorträge in der Universitäts- und Landesbibliothek Köln 1), Köln 2010.
  • (mit Sonja Neuroth u. Thomas Esser) Studienbibliographie zur Altnordistik (Sept. 2011).
  • Ein Fragment der Ólafs saga Tryggvasonar (aus dem Hallfreðar þáttr) in der Kölner Islandsammlung, in: Gripla XXIV (2013), S. 281–288.
  • Through an Old Danish Lens? Precious Stones in the Late Medieval Danish Reception of Courtly Literature, in: Ingela Hedström-Bolton et al. (Hgg.), The Eufemiavisor and Courtly Culture, Stockholm 2015, S. 162–175.