Sektion 5: Provenienzen der Dinge. Zur Rezeption von Objektbiografien
Samstag, 30. März 2019, 10:15–10:45 Uhr, ZHG, Hörsaal 105
Sheila Heidt, Köln/Duisburg-Essen

Afrikanische Objekte aus kolonialen Kontexten in deutschen Museen. Provenienzforschung als Methode zur Identifizierung von Raubkunst und zur Erzielung gerechter und fairer Lösungen

Spätestens seit dem Austritt Bénédicte Savoys aus dem Expertenbeirat des Humboldt Forums werden Objekte aus kolonialen Kontexten verstärkt diskutiert. Eine systematische Untersuchung der Appropriationen mit kolonialem Kontext ist bisher jedoch kaum erfolgt. Als effiziente Methode zur Behebung dieses Desiderats kommt die Provenienzforschung in Frage. Sie bietet zudem einen Ausgangspunkt für die Erzielung gerechter und fairer Lösungen im Falle von Raubkunst. Für deren systematische Identifizierung unter afrikanischen Objekten aus kolonialen Kontexten müssten zunächst jedoch Kriterien festgelegt werden. Der 2018 durch den Deutschen Museumsbund vorgestellte Leitfaden hat diesbezüglich leider keine Abhilfe geschaffen. Es mangelt weiterhin an einer Orientierungshilfe entsprechend der „Handreichung“.
Ungeachtet dieses Umstandes und des leider diffusen Unrechtsbewusstseins wurde das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste beauftragt, „Grundsätze für die Projektförderung“ zu erarbeiten und „beginnend 2019“ Forschungsprojekte in diesem Bereich zu fördern. Zwar wurde eine Förderrichtlinie hierzu für 2018 angekündigt, offene Fragen sind bisher jedoch nicht geklärt. Es wurde insbesondere kein Zeitraum festgelegt, in dem generell von unrechtmäßigen Aneignungen auszugehen ist und eine Beweislastumkehr erfolgt. Als „Red Flags“ entsprechend der „Handreichung“ (Anlage II d-m) zu bezeichnende Personen, Firmen, Einrichtungen etc. wurden mit Blick auf afrikanische Objekte aus kolonialen Kontexten noch nicht ermittelt. Auch ist es zu keiner verbindlichen Entwicklung eines „Ampelsystems“ gekommen, welches bestimmten Rahmenbedingungen eine höhere oder niedrigere Wahrscheinlichkeit des unrechtmäßigen Erwerbs zuordnet.
Unerlässlich erscheint hierbei eine systematische Erfassung und Bewertung der Sammlungseingänge, der Objektgeber, der Kunsthandelsnetzwerke, der weiteren Akteure sowie der generellen Erwerbs- und Translokationsumstände. Für die Frage der Unbedenklichkeit des Eingangs eines Objektes in eine europäische Sammlung während der Kolonialzeit spielt es schließlich eine große Rolle, ob das Objekt von einem „Afrikareisenden“ erstanden, einem Kolonialbeamten geschenkt oder von einem Angehörigen des Militärs während einer Strafexpedition „gesammelt“ wurde. Dieser Vortrag analysiert die dargestellte Problemlage, verdeutlicht die Herausforderungen der Provenienzforschung an afrikanischen Objekten aus kolonialen Kontexten und benennt Möglichkeiten des Umgangs mit Rückgabebegehren.
Kurzbiografie Sheila Heidt
1983–2002Aufenthalt in Gambia, Äthiopien und Nigeria bis zum Ablegen des Abiturs
2002–2007Studium der Rechtswissenschaften in Trier
2002–2008Studium der Kunstgeschichte in Trier (Magisterarbeit: „Karl Haberstock – Kunsthändler der Nazi-Größen. Eine Betrachtung der Person, der Kunstideologie des Dritten Reiches und daraus folgenden Restitutionsansprüchen“)
2008–2011Juristisches Referendariat am Oberlandesgericht Düsseldorf
seit 2011Promotion an der Universität Duisburg-Essen (Arbeitstitel: „Afrikanische Sammlungen kolonialer Herkunft in deutschen Museen: Stand und Notwendigkeit der Provenienzforschung, Umgang mit Restitutionsbegehren und mögliche Lösungsansätze“)
2011–2016Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin in Kanzleien aus dem Bereich des Kunstrechts
seit 2017Stellv. Bereichsleiterin, Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)/Referentin für Lizenzen, stellv. Gleichstellungsbeauftragte bei der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) – Informationszentrum Lebenswissenschaften
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Restitution, Kunstrecht; Postcolonial Studies; Institutionsgeschichte; Raubkunst; Provenienzforschung
Publikationsauswahl
  • Restitutionsbegehren bei NS-Raubkunst. Praxisleitfaden zur „Handreichung zur Umsetzung der ‚Erklärung der Bundesregierung, der Länder ... insbesondere aus jüdischem Besitz‘“, Berlin 2017.