Samstag, 26. März 2022, 9:00–13:00 Uhr, K2, Hörsaal 17.02

„Die gute Form“ – Überholtes Dogma oder bewährtes Paradigma im Design?

Leitung: Annette Geiger, Bremen / Anneli Kraft, Augsburg

Das Konzept der „guten Form“ scheint in der heutigen Gestaltung obsolet, enttarnt als ideologische Geschmackserziehung und nicht mehr tragbare formale Doktrin. Doch hat die „gute Form“ bis in unsere Tage noch immer ein beachtliches Fortleben: Vom Designdiskurs der Schlichtheit und Reduktion bis hin zur Rhetorik von Funktion und Minimalismus reicht ihr Weiterwirken.

Die Idee der „guten Form“ wurde populär durch die gleichnamige Ausstellung von Max Bill, die 1949 im Rahmen der Baseler Mustermesse stattfand. Bill wollte seinen eigenen Worten nach „das schlichte, das echte – eben das gute – zeigen“ (Wegleitung 183, Kunstgewerbemuseum Zürich, 1950). Schon diese Formulierung zeigt, dass der Anspruch weit über das rein Formale hinausging. Schlichtheit und Echtheit beziehen sich auf die Form und das Material, in dem Wort „gut“ steckt über das Ästhetische hinaus aber auch eine moralische Haltung. Durch Gestaltung sollte ein „Gutes“ auf die Gesellschaft einwirken, das auch in einem regelrechten Erziehungsprogramm umgesetzt wurde. Aus heutiger Sicht ist der damalige Aktionismus sicher hochproblematisch, aber er hat die Nachkriegszeit in Deutschland geprägt wie kein anderes Paradigma.

Die Referate spannen den Bogen vom Vorläufer-Konzept der „technischen Form“ ab 1907 bis zur Wiederaufnahme unter dem Begriff der „guten Form“ in der Nachkriegszeit (Flagmeier). Kaum eine Firma verstand es besser als Melitta, die propagierte Form umzusetzen (Korinsky), und kaum eine Schule hatte mehr Anteil an deren Vermittlung als die HfG Ulm (Rapp/Haaf). Allerdings stießen die Versprechen des Formbegriffs auch an ihre Grenzen, was sich vor allem im Umbruch des Designverständnisses Ende der 1960er Jahre offenbarte (Meyer).

Kurzbiografie Annette Geiger
1988–1994Studium der Kunst-, Kultur- und Kommunikationswissenschaften in Berlin, Grenoble und Paris
1997–2001Promotion in Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart („Urbild und fotografischer Blick. Diderot, Chardin und die Vorgeschichte der Fotografie in der Malerei des 18. Jahrhunderts“)
1994–2008Dozentin an der Hochschule für Gestaltung LISAA in Paris, Wiss. Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart und an der Universität der Künste Berlin, Gastprofessorin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Stiftungs-Professorin an der TU Darmstadt
seit 2009Professorin für Theorie und Geschichte des Designs an der Hochschule für Künste Bremen
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Ästhetik von Kunst, Design und Alltag; Bildtheorie; visuelle Narratologie
Publikationsauswahl
  • Urbild und fotografischer Blick. Diderot, Chardin und die Vorgeschichte der Fotografie in der Malerei des 18. Jahrhunderts, München 2004.
  • (mit Michael Glasmeier) Kunst und Design. Eine Affäre, Hamburg 2012.
  • (Hg.) Grenzüberschreitungen Mode und Fotografie (Fotogeschichte H. 146), Wien 2017.
  • Andersmöglichsein. Zur Ästhetik des Designs, Bielefeld 2018.
  • (Hg. mit Bianca Holtschke) Piktogrammatik. Grafisches Gestalten als Weltwissen und Bilderordnung, Bielefeld 2021.
Kurzbiografie Anneli Kraft
1999–2002Ausbildung zur Glasgestalterin am Staatlichen Bildungszentrum für Glas, Zwiesel
2002–2008Tätigkeit als Glasgestalterin (SODA glasstudios)
2007–2013Studium der Kunstgeschichte und Ökonomie (B.A.) sowie Kunstgeschichte und Museumsarbeit (M.A.) in Erlangen-Nürnberg
2011–2018Dozentin, Kunstvermittlerin, Stadt- und Museumsführerin, u. a. FAU Erlagen-Nürnberg, TH Nürnberg, Kunst- und Kulturpädagogisches Zentrum Nürnberg, Geschichte für Alle e.V.
2013–2015Freie Kunsthistorikerin, u. a. Projektsteuerung Marketing und PR-Maßnahmen (Kulturreferat der Stadt Nürnberg), Begleitprogramm Kunstvermittlung, Öffentlichkeitsarbeit (Kunstvilla im KunstKulturQuartier Nürnberg)
2014–2015Wiss. Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Digitale Geisteswissenschaften (IZ-Digital), FAU Erlangen-Nürnberg
2016–2021Wiss. Mitarbeiterin am Museum für Konkrete Kunst (MKK), Ingolstadt
2016–2021Stipendiatin des Cusanuswerks (Promotion: „Das gute Glas – Design digital sammeln und erforschen. Eine designhistorische Betrachtung und Entwicklung einer digitalen Infrastruktur zur Analyse von Trinkgläsern“)
seit 2021Projektleiterin für das Projekt „CALICO – entdecken, erleben, entwerfen“ (Förderprogram Dive In der Kulturstiftung des Bundes) am Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim)
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Designgeschichte; Gebrauchsglas, angewandte Kunst; digitale Kunstgeschichte, Digital Humanities und digitale Kunstvermittlung; Datenbanken, digitale Forschungsinfrastrukturen
Publikationsauswahl
  • Die Entwicklung des Gebrauchsglases von der manuellen zur maschinellen Herstellung am Beispiel der Kelchglasherstellung der Vereinigten Farbenglaswerke AG in Zwiesel von 1954 bis 1972 (Schriften zur Kunstgeschichte 50), Hamburg 2015.
  • Das gute Glas – Kriterien zur Beurteilung von Trinkgläsern, in: Melanie Kurz und Thilo Schwer (Hgg.): Designentscheidungen. Über Begründungen in Entwurfsprozessen (Gesellschaft für Designgeschichte, Schriften 4), Stuttgart 2021, S. 110–119.