Donnerstag, 24. März 2022, 14:30–18:30 Uhr, K2, Hörsaal 17.02

Gastsektion Polen

Leitung: Ryszard Kasperowicz, Warschau / Piotr Korduba, Posen

Die Gastsektion der polnischen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker befasst sich mit dem Problem der Form sowohl als eines der zentralen Begriffe unserer Disziplin als auch als Wesenskern künstlerischen Schaffens. Kritisch hinterfragt werden in den Beiträgen der Begriff selbst, seine frühere und heutige Geltung, seine Anwendungsmöglichkeiten, seine Beziehung zu Gehalt und Materialität des Kunstwerks, aber auch das Verhältnis der Form zu Ideologie, Politik und Gesellschaft. Aufgegriffen wird ebenfalls der Aspekt der Zerstörung und der Rekonstruktion der Form, ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz im Kontext des gemeinsamen Erbes und des kollektiven Gedächtnisses.

Der erste Beitrag (Bałus) stellt panoramaartig die Methodologie der polnischen kunsthistorischen Forschung dar, und zwar im Hinblick auf die Frage nach der Form, vor allem verstanden als Ausdruck des Stils. Das zweite Referat (Makała) behandelt die Wende zu formalen Untersuchungen als Strategie der polnischen Kunstgeschichte angesichts des künstlerischen Erbes der ehemaligen deutschen Ostgebiete nach 1945. Die beiden letzten Referate hingegen fragen nach der künstlerischen Form im Paradigma des Sozialistischer Realismus und bei der Aufstellung des polnischen Kunstkanons des 20. Jahrhunderts. Zum einen handelt es sich um eine Reflexion über die Aktualität der Doktrin „Form und Inhalt“ am Beispiel der polnischen Propagandamalerei der Stalinära (Tomaszewski). Im zweiten Fall werden ausgewählte Schlüsselwerke des polnischen Modernismus einer Analyse hinsichtlich der Experimente mit Form und Materie unterzogen, was ihre Progressivität zutage fördert und die Möglichkeit einer Neuinterpretation des geltenden Kanons polnischer Kunst aufzeigt (Smolińska).

Diese Beiträge verfolgen das Ziel, die polnische Kunstgeschichte zu präsentieren, deren Probleme, Herausforderungen und Tendenzen einerseits im Feld allgemeiner Phänomene angesiedelt sind, andererseits zugleich zeigen, wie das Formproblem dazu dient, spezifische und/oder regionale künstlerische Phänomene wahrzunehmen und ans Licht zu bringen, und auf welche Weise es den individuellen Rahmen des polnischen historisch-künstlerischen Diskurses absteckt. Hervorzuheben ist – worauf die beiden ersten Beiträge hinweisen –, dass es gerade die deutsch-polnische Nachbarschaft, der intellektuelle Transfer und das gemeinsame Erbe sind, die unserer Disziplin entscheidende Impulse gegeben haben und nach wie vor geben.

Kurzbiografie Ryszard Kasperowicz
1986–1992Studies in art history, Lublin (MA thesis: “Chosen Problem Aspects in E. H. Gombrich's Intellectual Biography”)
since 1992Assistant at the John Paul II Catholic University, Lublin
1992–2013PhD at the John Paul II Catholic University (“B. Berenson and the Renaissance Masters. A Comment on the Berenson's Aesthetic Attitude”)
2013Habilitation (“Art in Historical Thinking of J. Burckhardt”), professorship
since 2014Professor (Chair of Art Theory), Institute of Art History at Warsaw University
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Art Theory of the 18th/19th Century in England and Germany; History of Art History
Publikationsauswahl
  • Zweite, ideale Schöpfung. Sztuka w myśleniu historycznym Jacoba Burckhardta [Zweite, ideale Schöpfung. Kunst im historischen Denken von Jacob Burckhardt], Lublin 2004.
  • Figury zbawienia? Idea „religii sztuki” w wybranych koncepcjach artystycznych XIX stulecia [Figuren der Erlösung? Die Idee der „Religion der Kunst“ in ausgewählten künstlerischen Konzepten des 19. Jh.s], Lublin 2010.
  • Berenson and Connoisseurship – Who is afraid of Art History?, in: W. Bałus und J. Wolańska (Hgg.): Die Etablierung und Entwicklung des Faches Kunstgeschichte in Deutschland, Polen und Mitteleuropa, Warschau 2010, S. 227–234.
  • A Portrait of Renaissance Man in the Writings of Jacob Burckhardt, in: Grażyna Urban-Godziek (Hg.): Renaissance and Humanism from the Central-East European Point of View. Methodological Approaches, Krakau 2014, S. 35–48.
Kurzbiografie Piotr Korduba
1996–2000Studium der Kunstgeschichte in Posen (Magisterarbeit: „Danziger und Neo-Danziger Möbel im 19. und 20. Jahrhundert“)
2004Promotion an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen („Das Danziger Patrizierhaus in Früher Neuzeit“)
seit 2004Wiss. Assistent, dann Professor am Institut für Kunstgeschichte der Universität Posen
2014Venia legendi („Volkstümlichkeit zum Verkauf. Die Gesellschaft zur Förderung häuslicher Produktion, Cepelia, Institut für Industrielle Gestaltung“)
seit 2016Gewählter Direktor des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Posen
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Wohnarchitektur und Wohnkultur seit der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart; Kunstgewerbe, Inneneinrichtung und Designgeschichte; deutsch-polnische Beziehungsgeschichte; Kunst- und Kulturgeschichte der Stadt Posen (Poznań) u. Großpolen (Wielkopolska)
Publikationsauswahl
  • Patrycjuszowski dom gdański w czasach nowożytnych [Das Danziger Patrizierhaus in Früher Neuzeit], Warschau 2005.
  • Ludowość na sprzedaż. Towarzystwo Popierania Przemysłu Ludowego, Cepelia, IWP [Volkstümlichkeit zum Verkauf. Die Gesellschaft zur Förderung häuslicher Produktion, Cepelia, Institut für Industrielle Gestaltung], Warschau 2013.
  • (Hg. mit Dietmar Popp) Ernst Stewner – ein deutscher Fotograf in Polen, Marburg 2014.
  • Selektierte Vergangenheiten. Der Wiederaufbau Warschaus nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Arnold Bartetzky (Hg.): Geschichte Bauen. Architektonische Rekonstruktion und Nationenbildung vom 19. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln 2017, S. 208–233.
  • (Hg. mit Dietmar Popp) Re-Konstruktionen. Stadt, Raum, Museum, Warschau 2019.