Sektion 11: Gastsektion Polen
Donnerstag, 24. März 2022, 15:30–16:00 Uhr, K2, Hörsaal 17.02
Rafał Makała, Danzig

Flucht in die Form als eine der Strategien der polnischen Kunstgeschichte in den ehemaligen deutschen Gebieten nach 1945

Infolge der von den siegreichen Großmächten angeordneten präzedenzlosen „Verschiebung der Grenzen“ wurden Schlesien, Pommern, Ostpreußen und die Neumark an Polen angeschlossen. Das Verhältnis zu der Kunst auf den sog. neuen Nord- und Westgebieten wurde zu einer der größten Herausforderungen der polnischen Kunstgeschichte nach 1945. Die traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, insbesondere das durch das Dritte Reich umgesetzte Programm der Exterminierung der polnischen Kultur, resultierte in antideutschen Stimmungen, die im Nachhinein durch die Propaganda der Volksrepublik Polen geschickt angeheizt wurden. Die offizielle Idee der „Rückkehr auf urslawische Gebiete“, mit der man die Annahme jener „Grenzverschiebung“ legitimierte, die brutale Modernisierung Polens (die sich u. a. gegen die traditionelle Religiosität wandte) sowie die konfessionelle Fremdheit der überwiegend evangelischen Kirchenkunst in den neuen Nord- und Westgebieten stellten weitere Hindernisse für die polnische Kunstgeschichte dar.

Unter diesen schwierigen Bedienungen konnte man die deutsche Kulturlandschaft als „nichtig“/„irrelevant“ anerkennen, um an deren Stelle eine völlig neue zu erschaffen. Das passierte allerdings nur selten; dagegen wurden vielfältige Aktivitäten eingesetzt, um die „geerbte“ Kunst zu schützen, ja sie weiter zu erforschen. Dazu gehörte eine Reihe von einfallsreichen Initiativen, die die Semantik vieler Objekte verändern sollten – doch hat sich die polnische Kunstgeschichte unter diesen Umständen auch der formalen Forschung deutlich zugewandt. Dazu wurde eine besondere Sprache entwickelt, dank der v. a. deutsche Konnotationen der Kunstwerke vermieden werden konnten. Darüber hinaus galt das Interesse der Forscherinnen und Forscher formalen Verbindungen, die natürlich manchmal zu abenteuerlichen Hypothesen führten, dennoch auch die national geprägten Thesen der deutschen Kunstgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (z. B. von G. Grundmann, W. Drost oder H. Bethe) falsifizierten. Hier sind v. a. die Arbeiten von Z. Świechowski, G. Chmarzyński, M. Kutzner oder Z. Krzymuska-Fafius und später von K. Kalinowski, H. Dziurla oder A. Karłowska-Kamzowa zu erwähnen. Infolge jener Forschung wurden nicht nur unzählige Kunstwerke gerettet und geschützt, sondern auch eine neue, oft vom nationalen Gepräge unabhängige Perspektive geschaffen, was nicht zuletzt zu der Blüte der polnischen Kunstgeschichte am Ausgang des 20. Jahrhunderts beitrug.
Kurzbiografie Rafał Makała
1986–1992 Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte in Posen und Köln (Magisterarbeit: „Architektura cywilna Gerharda Corneliusa Walrave [Zivilarchitektur von Gerhard Cornelius Walrave]“)
1994–2015Assistent (seit 2003 Oberassistent) im Institut für Polonistik und Kulturwissenschaft an der Universität Stettin
2003Promotion an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen („Między prowincją a metropolią. Architektura Szczecina 1891–1918 [Zwischen Provinz und Metropole. Architektur in Stettin 1891–1918]“)
2003–2012Stellv. Direktor im Nationalmuseum in Stettin
2016Habilitation an der Universität Posen („Nowoczesna praarchitektura. Architektoniczne pomniki narodowe w wilehlmińskich Niemczech [Moderne Urarchitektur. Architektonische Nationaldenkmäler im wilhelminischen Deutschland]“)
2016–2020Gastprofessor für Kunstgeschichte Ostmitteleuropas am Institut für Kunstwissenschaft und historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin
seit 2018Koordinator des Kooperationsprojektes „Bauhaus an der Ostsee?“
seit 2020Professor für Kunstgeschichte der Moderne am Kunsthistorischen Institut der Universität Danzig
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Architektur des 19. und des frühen 20. Jh.s in Europa; Architektur und bildende Kunst der Moderne in Ostmitteleuropa; Kunst am Hofe der Herzöge von Pommern im 16. und 17. Jh.; bürgerliche Kunst und Kultur in Nordeuropa im 16. und 17. Jh.; frühneuzeitliche Residenzen im Ostseeraum und in Ostmitteleuropa
Publikationsauswahl
  • Między prowincją a metropolią. Architektura Szczecina w latach 1891–1918 [Zwischen Provinz und Metropole. Architektur in Stettin 1891–1918], Stettin 2011.
  • (Hg.) Das goldene Zeitalter Pommerns. Kunst am Hofe der pommerschen Herzöge im 16. und 17. Jahrhundert, Stettin 2013.
  • Nowoczesna praarchitektura. Architektoniczne pomniki narodowe w wilhelmińskich Niemczech (1888–1918) [Moderne Urarchitektur. Architektonische Nationaldenkmäler im wilhelminischen Deutschland 1889–1918], Stettin 2015.
  • (Hg. mit Guilia Simonini und Robert Huth) Unbekannte Wege. Die Residenzen der Pommernherzöge und der verwandten Dynastien zwischen Reformation und dem Dreißigjährigem Krieg, Schwerin 2018.
  • (Hg. mit Beate Störtkuhl) Nicht nur Bauhaus. Not just Bauhaus. Networks of Modernity in Central Europe (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 77), Oldenburg – Berlin – Boston 2020.