Sektion 10: Steht die Form schon vorher fest?
Samstag, 26. März 2022, 15:30–16:00 Uhr, HP, Hörsaal 2.01
Meinrad v. Engelberg, Darmstadt

„Ex gothica in novam formam redacta“ – Denkmalpflege im Barock?

„Was ist mit baulichen Ergänzungen, die ihre eigene Gestaltung bekommen (müssen)? Denn Denkmäler werden mit laufend neuen Anforderungen konfrontiert [...].“ Die hier aufgeworfenen Fragen sind keineswegs auf die Moderne beschränkt, und gerade für den in dieser Sektion postulierten „weiten Raum für denkmalpflegerische Form-Fragen“ könnte es lohnend erscheinen, den Blick über die eigene Epoche hinaus zu öffnen.

Die radikal sich wandelnden Anforderungen der frühen Neuzeit an ihre ererbten mittelalterlichen Kirchenräume waren zunächst funktionaler Natur, nämlich eine Reaktion auf die durch Konfessionalisierung divergierende liturgische Praxis. Sie generierten aber gleichzeitig – und untrennbar damit verwoben – Formfragen. Wie verändert sich die Wahrnehmung eines gotischen Gotteshauses, wenn es zukünftig als Hülle des reformatorischen Predigtgottesdienstes oder des tridentinischen Messritus dienen sollte? Welche zeichenhafte Botschaft entfaltet die Form, ihre Erhaltung, vollständige oder partielle Modernisierung in einem Umfeld, das um die „wahre Tradition“ streitet? Erneuern oder Bewahren konnte hierbei durchaus zeichenhaft interpretiert werden: Worin drückt sich die Wertschätzung, die einem Bauwerk entgegengebracht wird, klarer aus – „konservieren oder restaurieren“? Gerade der absichtsvoll herbeigeführte formale Kontrast von erkennbarer alter Substanz und neuen Hinzufügungen, welche den Vorzustand nur partiell überschreiben und dadurch akzentuieren, wurde von den Zeitgenossen durchaus reflektiert, wie die im Vortragstitel zitierte Bauinschrift aus der Augustinerstiftskirche St. Nicola bei Passau (1716) belegt.

Während also die Aufgabenstellung durchaus vergleichbar erscheint, muss der „Denkmal“-Begriff mit Anführungszeichen versehen werden, dessen „Kultus“ ja schon Alois Riegl als genuin modern erkannte. Das bedeutet freilich nicht, dass es keine Wahrnehmung der gebauten „Antiquität“ als Beleg und „Monument“ (= Gedenkzeichen) einer bedeutungsstiftenden Vergangenheit gegeben hätte. Allerdings erscheint das altertümliche Bau- oder Kunstwerk in dieser Epoche eher als Träger, Urkunde und Medium historischer Erinnerung denn als schützenswertes Gut eigenen Rechts auf Erhaltung und Bewahrung. Während sich also Formfragen, z. B. nach Brandkatastrophen, durchaus vergleichbar mit der Gegenwart stellten – Kontrast oder Überformung, Erneuerung oder Wiederherstellung? – divergierten die den Maßnahmen zugrundeliegenden Motive und Intentionen deutlich.
Kurzbiografie Meinrad v. Engelberg
1987–1990 Studium der Architektur an der TH Darmstadt (heute TU Darmstadt)
1990–1991 Studium der Kunstgeschichte in Wien
1991–1995 Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie, Mittleren und Neueren Geschichte in Bonn (Magisterarbeit: „Kaiser Friedrich II. und die Krone von Palermo“)
1996–2001 Wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl Kunstgeschichte der Universität Augsburg
2001 Promotion an der Universität Augsburg („Renovatio Ecclesiae – die Umgestaltung mittelalterlicher Kirchen zwischen Reformation und Säkularisation“)
2001–2002Postdoc-Stipendiat des Augsburger Graduiertenkollegs „Wissensfelder der Neuzeit“
2002–2008 Wiss. Mitarbeiter am Fachgebiet Kunstgeschichte, Fachbereich Architektur, der TU Darmstadt
seit 2008 Akad. Rat am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt, Koordinator der Studiengänge B.Sc. und M.Sc. Architektur
2020Habilitation an der TU Darmstadt mit einer Arbeit zum Barock-Begriff
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kunst und Kultur der frühen Neuzeit; Architekturgeschichte
Publikationsauswahl
  • Renovatio Ecclesiae. Die Barockisierung mittelalterlicher Kirchen, Petersberg 2005 (zugl. Diss. Augsburg 2001).
  • (Hg. mit Frank Büttner, Stephan Hoppe und Eckhard Hollmann) Barock und Rokoko (Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland 5), München u. a. 2008.
  • Die Neuzeit (1450–1800). Ordnung – Erfindung – Repräsentation (WBG-Architekturgeschichte II), Darmstadt 2013.
  • (Bearb. mit Felicitas Janson und Georg Peter Karn) Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz / Kath. Akademie des Bistums Mainz (Hgg.): Mainzer Barock – Ein vergessenes Erbe? Zur Prägung und Ausprägung der barocken Kunst im Mainzer Raum, Regensburg 2017.
  • (Hg. mit anderen) „Modell“ Waisenhaus? Perspektiven auf die Architektur von Franckes Schulstadt (Kleine Schriftenreihe der Franckeschen Stiftungen 17), Halle 2018.