Sektion 9: Exzentrische Abstraktion, Anti-Form, Post-Minimalismus, informe und ihre Relektüren
Freitag, 25. März 2022, 11:30–12:00 Uhr, K2, Hörsäle 17.17 & 17.12
Holger Kube Ventura, Reutlingen

Formen, die nicht geheuer sein können. Abjekte Dinge von Peter Buggenhout

Wir sind daran gewöhnt, materielle Dinge in unserer Umgebung eher nur als Werkzeuge, Vorrichtungen oder Waren anzusehen, die Dinge existieren nicht für sich selbst, sondern sind in erster Linie funktional. Weil wir zugleich jeden Tag den Großteil der auf bildliche Repräsentationen reduzierten Welt elektronisch verwerfen, ist unsere Erfahrung zunehmend entkörperlicht und ortlos. Diesbezüglich scheinen uns die Plastiken des international renommierten Bildhauers Peter Buggenhout (BE, geb. 1963) vehement zu entgegnen, dass auch wir nur ein physisches und vergängliches Ding unter Dingen sind. Sie stellen das absolute Gegenteil der digitalen Welt des schnellen Erscheinens und Verschwindens dar, weil sie von allen Seiten in ihrer Materialität erkundet werden wollen und unmittelbar ihr Anderssein behaupten.

Buggenhout bezeichnet seine hybriden Plastiken als „abject things“, die jede Einordnung zurückweisen, einschließlich jener als künstlerische Werke. Sie bestehen aus Dingen, die ihre instrumentelle Form verloren und dabei ein neues Wesen gewonnen haben. Zum Einsatz kommen Abfallstücke wie etwa ausrangierte Regalteile, Kunststoffrohre, Zeltplanen, Steppdecken, Wellpappe, Metallstreben, Marmorplatten, das Glas eines Schaufensters, der Staub aus einem Industriesauger – aber auch organische Reste wie Schweineblut, Kuhmägen oder Pferdehaar. Solche Elemente fügt der Künstler zu hybriden Konglomeraten oder Korpussen und zeigt, dass das Weggeworfene nicht verschwunden, sondern zombiefiziert zurückgekehrt ist: Es präsentiert sich nun als ein autonomes wesenhaftes Gegenüber, das in seinem Widerspruch aus Ähnlichkeit und Andersartigkeit zugleich anziehend und abstoßend ist. Buggenhouts faszinierende Plastiken erzeugen eine abgründige Atmosphäre, weil sie an jeder Stelle etwas Ungeheures hervortreten lassen, das offenbar ganz dicht unter der Oberfläche der materiellen Welt liegt.
Kurzbiografie Holger Kube Ventura
1994–2007Co-Programmierer des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes
1997–2000Kurator im Vorstand des Kasseler Kunstvereins
2001–2003Direktor der Werkleitz Gesellschaft – Zentrum für künstlerische Bildmedien Sachsen-Anhalt
2004–2009Programmkoordinator, Projektinitiator und Fondsleiter der Kulturstiftung des Bundes
2009–2014Direktor des Frankfurter Kunstvereins
2015Freier Kunstwissenschaftler in Brüssel
2016–2017Künstlerischer Vorstand der Stiftung Kunsthalle Tübingen
seit 2017Gründungsleiter des Kunstmuseums Reutlingen / konkret
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Konkrete Kunst; Fotografie und Bewegtbildkunst; politische Kunst des 20. Jh.s; Skulptur/Plastik der Gegenwart; Historienmalerei der Gegenwart
Publikationsauswahl
  • Politische Kunst Begriffe in den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum, Wien 2002.
  • Arbeiten aus System. Konkrete Kunst 1954–2011, Tübingen 2018.
  • Fotografie des Gegenwärtigen / Photography of Presence, Berlin 2019.
  • Malereikonkrethochdrei. Vom Bild zum Raum, Bielefeld 2019.
  • Gläserne Härten. Konkrete Kunst als Medium, Berlin 2020.