Realismus als Formproblem

Leitung: Regine Prange, Frankfurt a. M. / Christine Tauber, München

Die Sektion fragt nach dem Status der Form für die realistische Kunstpraxis. Gustave Courbets revolutionäre Absage an die Tradition der Ideenkunst hatte nicht allein die Entbergung des empirischen Gegenstandes aus seiner mythologischen Einkleidung zur Folge. Courbets Realismus gründete vor allem in einer kritischen Durcharbeitung der neuzeitlichen Malerei und einer antiakademischen Revision ihrer formalen Gesetze. Was zeitgenössischen Kritikern als Verstoß gegen den Disegno und damit als mangelhafte künstlerische Form galt, ist heute als Ausgangspunkt der historischen Avantgarden anerkannt. Courbets taktiles Umgehen mit dem Farbmaterial wird vom Impressionismus und von der Abstraktion aufgegriffen. Die Versunkenheit seiner Figuren und ihre aperspektivische „Montage“ ist wegweisend für das surrealistische Interesse an der Wirklichkeit des Traums. Noch Gerhard Richter hat sich in das Erbe Courbets gestellt. Auch die Filmkunst hat realistische Verfahren ausgebildet, die sich über formale Methoden der Verfremdung, die das konventionelle Sinnverstehen stören, definieren. Die documenta 14 im Jahr 2017 hat hingegen das Vorbild Courbets für die unmittelbar politischen Ziele der zeitgenössischen Partizipationskunst geltend gemacht. Ist also in der gegenwärtig unter dem Label des Realismus antretenden dokumentaristisch-performativen Kunstpraxis das Problem der Form, das in den historischen Realismusdebatten zur Diskussion stand, obsolet?

Die Sektion befragt die dichotomisch in Abstraktion und Gegenständlichkeit, Formalismus und Realismus getrennte Geschichte der künstlerischen Moderne und Gegenwart anhand von vier Fallstudien zur „deadpan“-Ästhetik bei Ed Ruscha, zu Isa Genzken, „realistischen“ Bildern in Computerspielen (Hito Steyerl und Harun Farocki) sowie zur Kunst in der frühen DDR.

Kurzbiografie Regine Prange
1990Promotion an der Freien Universität Berlin („Das Kristalline als Kunstsymbol“)
1991–1998 Wiss. Assistentin am Kunsthistorischen Institut Tübingen; Habilitation („Das ikonoklastische Bild. Piet Mondrian und die Selbstkritik der Kunst“)
1998–1999 Vertretungsprofessuren an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und an der Philipps-Universität Marburg
1999–2001 Universitätsprofessorin in Marburg, Schwerpunkt Kunstgeschichte des 19. und 20. Jh.s
seit 2001Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Kunstgeschichte, Kunst und Medientheorie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Theorie und Geschichte der abstrakten Malerei; Geschichte der Kunstwissenschaft; Realismus in Malerei und Film; materialistische Ästhetiken
Publikationsauswahl
  • Das Kristalline als Kunstsymbol – Bruno Taut und Paul Klee. Zur Reflexion des Abstrakten in Kunst und Kunsttheorie der Moderne, Hildesheim 1991.
  • Die Geburt der Kunstgeschichte. Philosophische Ästhetik und empirische Wissenschaft, Köln 2004.
  • Der Mann mit der Kamera. Zur Kritik am dokumentarischen Realismus in Godards Kurzfilm Caméra-œil, in: Georg Peter und Reuß-Markus Krauße (Hgg.): Selbstbeobachtung der modernen Gesellschaft und die neuen Grenzen des Sozialen, Wiesbaden 2012, S. 301–313.
  • Das ikonoklastische Bild. Piet Mondrian und die Selbstkritik der Kunst, München 2006.
  • (Hg. mit Hans Aurenhammer) Das Problem der Form. Interferenzen zwischen moderner Kunst und Kunstwissenschaft (Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst 18), Berlin 2016.
Kurzbiografie Christine Tauber
1986–1992Studium der Kunstgeschichte, Geschichte, Germanistik, Romanistik und Philosophie in Bonn und Paris (École Normale Supérieure und Paris IV – Sorbonne), 1989 Maîtrise an der Sorbonne
seit 1990Freie Mitarbeit bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
1989–1993Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes
1993–2001Wiss. Assistentin am Historischen Seminar der Universität Bonn
1993–2002Mitglied im Bonner Graduiertenkolleg „Die Renaissance in Italien und ihre europäische Rezeption“
1997Promotion am Historischen Seminar der Universität Bonn („Jacob Burckhardts ‚Cicerone‘. Eine Aufgabe zum Genießen“)
2005Habilitation an der Universität Konstanz („Manierismus und Herrschaftspraxis. Zur Kunst der Politik und zur Kunstpolitik am Hof von François Ier“)
2009–2010Gastprofessorin am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München, zugl. Gerda-Henkel-Forschungsstipendiatin
seit 2010Verantw. Redakteurin der Kunstchronik in der Forschungsabteilung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte
seit 2015apl. Professorin am Institut für Kunstgeschichte an der LMU
Forschungs- bzw. Arbeitsschwerpunkte Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jh.s (u. a. Burckhardt, Wölfflin); italienische und französische Renaissance, Manierismus; Kunstpolitik und Kulturgeschichte des Revolutionszeitalters; Kunstpatronage; strukturanalytische Kunsttheorie, Postmoderne
Publikationsauswahl
  • (Hg. mit Bernd Roeck und Martin Warnke) Jacob Burckhardt, Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuß der Kunstwerke Italiens, 2 Bde., Basel/München 2001.
  • (Hg., Übers., Einleitung) Leon Battista Alberti, Vita. Lateinisch-Deutsch, Frankfurt a. M./Basel 2004.
  • (Hg. mit Ulrich Oevermann und Johannes Süßmann) Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kulturpatronage (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 20), Berlin 2007.
  • Bilderstürme der Französischen Revolution. Die drei Vandalismus-Berichte des Abbé Grégoire. Franz.-dt., mit Kommentar und Einleitung (Quellen zur Kunst 30), Freiburg i. Br. 2009.
  • Ludwig II. Das phantastische Leben des Königs von Bayern, München 2013.